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Die Weltmeisterschaft weckt Hoffnungen... und Nigeria packt das Fußballfieber

Bayo Olupohunda lebt in Lagos und ist Kolumnist, Schriftsteller und Journalist.
© Bayo Olupohunda

22. Juni 2010
Von Bayo Olupohunda
Afrika ist außer Rand und Band. Noch nie hat der Fußball den ganzen Kontinent von einer besseren Zukunft träumen lassen wie die WM 2010 in Südafrika. Auf einem Kontinent, der für viele der Inbegriff von Hoffnungslosigkeit und Katastrophen ist, heimgesucht von Armut, Kriegen und Krankheit, verleiht die Weltmeisterschaft Hoffnung und Freude – zumal sie in Nelson Mandelas Heimatland ausgetragen wird. Und nirgends schlägt die Stimmung so hoch wie in meinem Land, Nigeria, das sich zum vierten Mal für die WM qualifiziert hat und 2006 in Deutschland leider nicht mit dabei sein konnte. Die Hoffnung ist groß, dass Nigeria, Afrikas Hochburg des Fußballs, ein Land mit 150 Millionen Einwohnern und somit die bevölkerungsreichste schwarze Nation der Welt, es auf afrikanischem Boden zum ersten Mal in ein Finalspiel schaffen könnte.

Der Fussball eint das Land - wenn auch nur für 90 Minuten

Ob dieser “große Traum” erreichbar ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das spielt aber auch keine Rolle, denn in diesem fußball-fanatischen Land haben Fans schon immer an unrealistischen Hoffnungen festgehalten, selbst wenn die Chancen für unser Team, die Super Eagles, schlecht standen. Ein Team, das sich nur um Haaresbreite für die WM 2010 qualifiziert hat. Aber in der Welt des Fußballs ist es okay, von Großem zu träumen, selbst wenn man für das schwächste Team fiebert! In Nigeria ist Fußball eine Religion. Er hat die Kraft, zerstrittene ethnische Gruppen zu vereinen und bringt der nigerianischen Bevölkerung Hoffnung. Die Ekstase und Kameradschaft, die bei einem Spiel des nigerianischen Teams unter unseren Landsleuten entsteht, ist überwältigend. In diesem Moment spielt es keine Rolle, zu welcher ethnischen Gruppe man gehört, denn während der 90 Minuten Spielzeit sind wir ein gemeinsames Volk.   

Die Türen eines Yoruba stehen jedem Hausa weit offen, um ein Spiel der Super Eagles anzugucken. In Nigeria spaltet uns die Politik und macht uns arm, doch Fußball verbindet. Enorme Erdölvorkommen haben zu einer Militarisierung des Nigerdelta geführt, in dem die meisten Reserven liegen. Aber sobald es um Fußball geht, schweigen die Waffen und Feinde werden zu Freunden – zumindest für 90 Minuten! Wir halten zusammen, egal ob Sieg oder Niederlage. Deshalb fällt es Nigerianern so schwer ihrem Team zu verzeihen, wenn es sich nicht für bedeutende Wettkämpfe qualifiziert. Dass sie die Qualifikation zur WM 2006 in Deutschland nicht schafften löste zum Beispiel heftige Kritik an den Autoritäten dieses Landes aus. Soweit also zur Leidenschaft mit der Fußball in Nigeria gelebt wird. Der WM in Südafrika 2010 schreiben die Fußballfans des Landes hingegen eine noch größere Bedeutung zu.

Es wird allgemein geglaubt, dass dieses Mal ein afrikanisches Land gewinnen könnte, nun da die WM hier stattfindet. Wenn man mich fragt, ist das etwas hoch gegriffen, aber die Hoffnung stirbt nun mal zuletzt wenn es um Fußball geht. Nigeria ist in derselben Gruppe gelandet wie Erzfeind Argentinien, das den weltbesten Stürmer aufbieten kann – Lionel Messi. Die beiden anderen Länder in der Gruppe sind Griechenland und Südkorea. Nigeria hofft, dass die Super Eagles diese Gruppe überleben und in die zweite Runde kommen. Noch nie waren die Erwartungen größer, zumal andere afrikanische Länder wie Kamerun und die Elfenbeinküste mit einigen der besten Fußballer Europas auch mit dabei sind, Didier Drogba bei Chelsea und Samuel Eto'o. Aber wir müssen abwarten und gucken wie die WM weitergeht!
Es gibt noch andere Gründe warum Fußball so beliebt geworden ist in Afrika. Der Export von Spielern in europäische Clubs hat den jeweiligen Fußballern viel Geld gebracht und einige Familien aus der Armut befreit. Inzwischen sieht man überall kleine Jungs, die alles, was rund ist, als Fußball benutzen um damit herumzukicken. 

Fußballakademien sprießen aus dem Boden

Dass in den verschiedensten Ländern des Kontinents Fußballakademien aus dem Boden sprießen ist nur ein Zeichen dafür, dass Fußball zum beliebtesten Sport geworden ist. In Nigeria drängen heutzutage alle Eltern ihre Kinder dazu Fußball zu spielen, auch wenn der Großteil der Spieler des Nationalteams aus der Arbeiterklasse und den Armenvierteln, wie zum Beispiel dem bekannten Slum Ajegunle in Lagos, stammen. Doch in den letzten Jahren hat sich dieser Trend verändert: in Anbetracht des Ruhms und des Ansehens, die dem Sport anhaften, versuchen immer mehr wohlhabende Eltern ihre Kinder für Fußball zu begeistern. Zum Geburtstag werden ihnen Fußbälle geschenkt und es wird ihnen gesagt, dass sie sich doch mal Mikel Obi von Chelsea oder andere berühmte Nationalspieler als Vorbild nehmen sollen. Wenn man durch die Strassen von Lagos läuft, könnte man glatt meinen man befände sich in einem Stadion, so sehr sind Fußballtrikots zur neuen Mode der Jugend geworden.

Um die Leidenschaft nigerianischer Fußballfans für die Weltmeisterschaft besser zu verstehen, ging ich in eine Bar in der Innenstadt von Lagos. In dem völlig verrauchten Raum lieferten sich gerade ein paar Jugendliche in Super Eagles-Trikots einen erbitterten Streit darüber, wer die WM gewinnen wird. Manche der forschen, Bier trinkenden Jugendlichen waren der Meinung, dass die Super Eagles eine gute Chance hätten den Pokal für Afrika zu sichern, während andere davon überzeugt waren, dass das Team nicht über die Gruppenspiele hinauskäme. Dieser Diskussionseifer greift um sich. Überall in Lagos wird über die Weltmeisterschaft debattiert, auf der Strasse, in Bars, auf dem Markt und in öffentlichen Parks, und die Wortgefechte sind immer sehr lebhaft. Viele glauben, dass dieses Jahr Afrika endlich gewinnen wird, doch nicht alle teilen diesen hehren Traum.

In letzter Zeit hat das nigerianische Team nicht gerade Glanzleistungen vollbracht. Seit dem Goldpokal bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta hat Nigeria keine einzige bedeutende Meisterschaft gewonnen und die Medien werfen den Spielern vor, nicht hinter dem Nationalteam zu stehen. Das WM-Fieber wird auch umfassende Auswirkungen auf das Familiensystem hier haben. Normalerweise beschweren sich Ehefrauen und Mütter dass ihre Männer nie zu Hause seien. Für den kommenden Monat, solange die Spiele in Südafrika stattfinden, können sie sich hingegen sicher sein, viel Zeit mit ihren Ehemännern zu verbringen, da diese zu Hause bleiben um sich die Turniere anzuschauen! Selbst die Medien, die sich immer kritisch gegenüber den nationalen Vorbereitungen auf die WM zeigten, haben in die Lobeshymne auf die erste afrikanische Weltmeisterschaft eingestimmt. Auf der anderen Seite werden die Medien auch die ersten sein, die die Leistung des Teams kritisieren, sollte es versagen und vor der zweiten Runde ausscheiden. Eins ist sicher: die WM wird den Journalisten ausreichend Stoff für den nächsten Monat liefern.

Die WM bietet die Gelegenheit, die Geschichten Afrikas zu erzählen

Natürlich werden die Spieler unter Leistungsdruck stehen, nicht zuletzt aufgrund der enormen Bedeutung, die Nigerianer dem Fußball zuschreiben. Es ist kein Zufall, dass das Nationalteam vom Präsidenten in seinen Palast in der Landeshauptstadt Abuja eingeladen wurde, bevor es nach Südafrika aufbrach. Nicht nur das, er wird sie auch in ihrem Camp in Durban, Südafrika, besuchen. In solchen Gesten zeigt sich die hohe Aufmerksamkeit, die die nigerianische Regierung dem Fußball entgegenbringt. Schließlich weiß sie um die Fähigkeit dieses Sports, Einheit zu stiften in einem Land, das ethnisch und religiös stark gespalten ist.

Während Nigeria auf sein erstes Spiel gegen Argentinien wartet, füllen Bars und Straßenlokale ihre Bier- und Getränkelager auf. In Lagos, wo Stromausfälle nicht ungewöhnlich sind, tummeln sich Fußballfans in brechend vollen Bars, trinken und diskutieren darüber, welche Spieler für das nigerianische Team aufgestellt werden sollten. Bars in der ganzen Stadt und verschiedenen Teilen des Landes werden im nächsten Monat das Geschäft ihres Lebens machen. Sie können sich der Trinkfreude der Fußballfans sicher sein, die gewiss keines der 64 Spiele ohne das ein oder andere kühle Bier verbringen wollen.

Im Monat vor Anpfiff der WM wurde die südafrikanische Botschaft in Lagos von Fußball-Touristen überrannt, die noch schnell ein Reisevisum beantragen wollten. In der ersten Woche nach Beginn der WM war auch ich bei der Botschaft, da ich vorhabe nach Südafrika zu fahren. Ich will die Spiele besuchen, über das tägliche Leben in Südafrika schreiben und darüber, wie die WM die zersplitterte Regenbogennation verändert hat. Bis dahin verfolge ich die Spiele von zu Hause aus, laufe durch Lagos Straßen und halte in meinem Tagebuch fest, wie dieses Sportevent meine Landsleute ihre täglichen Sorgen vergessen lässt, solange sie wie hypnotisiert vor dem Fernseher sitzen. Es ist spannend zu beobachten, wie der Fußball das Leben einiger eingefleischter Fans völlig durchdringt: sie schlafen damit ein, wachen damit auf und denken sogar beim Essen nur an Fußball. Ich hoffe, mein Land wird sich einiges von Südafrika abgucken können, was die Organisation eines internationalen Events dieses Kalibers angeht. Ich hoffe auch, dass dieser Wettkampf wirklich alle Afrikaner und Afrikanerinnen vereinen wird und ein neues Entwicklungsparadigma hervorbringt, das den Kontinent auch noch lange nach dem Abpfiff am 11. Juli prägen wird.
 
Journalisten und alle anderen Menschen im Land vereint die Hoffnung, dass eine Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden uns die Gelegenheit bietet, der Welt dort draußen unsere Geschichten zu erzählen. Ebenso ist die Vuvuzela zum offiziellen Musikinstrument der WM 2010 geworden, auch wenn einige Trainer und angereiste Fußballfans sich von dem summenden, bienenhaften und knatternden Lärm eher belästigt fühlen. Sie werden aber kaum eine Wahl haben. Für die Zeit der WM müssen sie sich damit abfinden. Allerdings habe ich Angst, dass die Hoffnung, die eine ganze Nation erfasst hat, genauso schnell wieder im Sand verläuft wie sie aufgeflammt ist, wenn die Super Eagles in Südafrika versagen sollten. Jetzt, da die WM mit Pauken und Trompeten losgeht, ist Nigeria jedenfalls ergriffen vom Fußballfieber. Schnapp dir deine Vuvuzela und lass uns feiern!



Angaben zum Autor:

Bayo Olupohunda wohnt in Lagos und ist ein nigerianischer Kolumnist, Schriftsteller und Journalist. Seine Texte behandeln eine große Bandbreite von Themen, wie Kunst, Kultur, Bildung, Umwelt, globale Probleme und Entwicklungspolitik. Zurzeit schreibt er für die beiden einflussreichen Zeitungen The Guardian und 234Next in Lagos. Des Weiteren veröffentlicht er Artikel in zahlreichen onlinebasierten Medien.

Dossier

WM 2010 - Afrika am Ball!

Das offizielle WM-Motto „Ke Nako - (Es ist Zeit) Afrikas Menschlichkeit zu feiern!“ nehmen wir mit diesem Dossier zum Anlass, genauer auf den Gastgeber und andere afrikanische Teilnehmernehmerländer der Fußball-Weltmeisterschaft zu schauen.